Voy: 59
"Unity" (Die Kooperative)

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Staffel3
58: "Alter Ego"
60: "The Darkling"

Cover
US-Erstsendung:
12.2.1997

SAT1-Erstsendung:
14.8.1998

Regie:
Robert Duncan McNeill

Drehbuch:
Kenneth Biller

Musik:
David Bell

Gaststars:

Lori Hallier
als Dr. Riley Frazier

Ivar Brogger
als Orum

Susan Patterson
als Kaplan

Inhalt:

Commander Chakotay ist mit Ensign Kaplan in einem Shuttle unterwegs, als er einen Notruf erhält und auf einem Planeten landet. Plötzlich wird er angegriffen. Kaplan wird getötet, er wird von einigen herbeieilenden Helfern in Sicherheit gebracht. Bald findet Chakotay heraus, daß es sich bei diesen Leuten um ehemalige Borg handelt, die sich nun zum Teil bekriegen. Da Chakotay schwere neurale Verletzungen davongetragen hat, willigt er ein, sich mit einem Kollektiv, das nur aus einer kleinen Gruppe von Leuten besteht, zu verbinden. Nur so kann schließlich auch sein Leben gerettet werden.

Die Voyager stößt auf ein reglos im All treibendes Borgschiff. Als man Chakotay findet, bittet die Exborg Dr. Riley Frazier Captain Janeway um einen Gefallen. Janeway soll helfen, kurz den Borggenerator zu aktivieren. Nur auf diese Weise könne das Kollektiv auf dem Planeten wiederhergestellt und den kriegerischen Zuständen ein Ende gemacht werden. Als Janeway ablehnt, benutzen die Ex-Borg die noch immer schwache Verbindung zu Chakotay, der daraufhin ohne eigenen Willen zum Borgschiff fliegt und es aktiviert. Als aber das Schiff seine Waffensysteme startet, leiten die Ex-Borg auf dem Planeten die Selbstzerstörung des Borgwürfels ein. Die ehemaligen Borg melden sich und stellen sich als die neue Kooperative vor. Chakotay bezweifelt, daß diese Kooperative lange Zeit von Idealen geprägt sein wird.

Kritik:

"Unity" ist eine der besten Folgen der dritten Staffel und wohl eine der hintergründigsten Borg-Episoden seit "I Borg" (dt.: Ich bin Hugh). Hinzu kamen brillante Effekte, die sich zugleich brav der Story unterordneten.

Kenneth Biller hat bisher eher schwache Drehbücher abgeliefert. "Tuvix" verwendete, vom fragwürdigen Ende mal abgesehen, viel zu viel Zeit darauf, einen Schlußkonflikt aufzubauen, so daß sich eigentlich nur in den letzten zehn Minuten Spannung entwickelte. "Twisted" (dt.: Die Raumverzerrung) gilt als eine der schlechtesten Episoden der ersten Staffel. "The Chute" (dt.: Das Hochsicherheitsgefängnis) versuchte größtenteils, durch Brutalität Stimmung und Spannung zu erzeugen. Seitdem hat Kenneth Biller offenbar viel dazugelernt. Ein derart tiefsinniges und zugleich durchgehend spannendes Drehbuch hätte ich ihm vor "Unity" nicht zugetraut.

"Unity" ist deshalb so hintergründig, weil die Folge alle Symbole, die die Borg verkörpern, aufgreift und dabei nicht nur geschickt neue Erkenntnisse über das bislang wenig erforschte Borgkollektiv vermittelt, sondern anhand der Borg darlegt, was die Föderation und somit letztlich auch Star Trek ausmacht.

Wenn die Leute die Worte Star Trek hören, denken sie meist zuerst an eines: An eine positive Zukunftsversion. Manche reden gar von einer Utopie. Nun, da es in Star Trek immer noch Verbrechen, Gefängnisse, Waffen und derlei mehr gibt, kann man wohl kaum von einem echten Idealbild der Zukunft reden. Die positive Zukunftsversion - also ein gegenüber der Gegenwart positiveres Weltbild - ist jedoch kaum zu leugnen.

Wenn man dann nachhakt, was denn eigentlich diese positive Zukunftsversion in Star Trek auszeichnet, erhält man meist die gleichen Antworten. Der technische Fortschritt, das Ende von Armut und Krankheit, die Toleranz, das Fehlen von Konflikten, die allseits präsente Harmonie und derlei mehr. Nun, einiges davon kann man unterschreiben, anderes ist schlicht falsch. Krankheiten gibt es eindeutig nach wie vor (auch wenn sie jetzt meist "Syndrome" genannt werden), die Armut scheint zwar auf der Erde verschwunden zu sein, auf etlichen Kolonien jedoch noch immer vorzuherrschen und Konflikte und Streitereien gibt es sehr wohl noch, es war und ist keineswegs alles harmonisch. Das war es nicht in der Classic-Serie, nicht in TNG und ist es erst recht nicht in den zwei jüngsten Star Trek-Ablegern.

Die positive Zukunftsversion von Star Trek äußert sich vielmehr in zwei ganz anderen Aspekten. Zum einen darin, daß der Mensch weit über der Technik steht (oder besser gesagt, daß die Technik stets unter dem Menschen steht), und zum anderen darin, daß die Gesellschaft den Wert des Individuums so extrem hoch einschätzt.

Zur Technik: Sie beherrscht den Menschen nicht länger. Er beherrscht die Technik. Star Trek geht davon aus, daß der Mensch nie durch die Technik ersetzt oder überflüssig gemacht werden kann. Entsprechende Versuche, den Menschen gegen Technik auszutauschen, sind nicht selten zum Scheitern verurteilt oder werden zumindest mit großer Skepsis verfolgt. Verschmilzt der Mensch mit der Technik, sind die Folgen so gut wie ausnahmslos fatal. Selbst künstliche Körperteile wie Geordis VISOR oder das mechanische Herz von Picard sind immer wieder Anlaß für Probleme.

Der andere, wesentlich wichtigere Aspekt ist die Rolle des Individuums. Jede Gesellschaft hat gewisse Normen und Wertvorstellungen. So herrscht heute in vielen Ländern ein Konsens über Menschenrechte, auf die vor nur wenigen Jahrhunderten die Menschheit wohl mit völligem Unverständnis reagiert hätte. Das heißt natürlich nicht, daß jeder einzelne in einer Gesellschaft tatsächlich von diesen Wertvorstellungen überzeugt ist. Das ist nie der Fall, egal, ob eine Gesellschaft nun positive oder negative Ziele verfolgt. Aber heutzutage wird man wohl schon lange suchen müssen, um jemanden zu finden, der tatsächlich die Meinung vertritt, Verdächtige müsse man beim Verhör foltern, Verbrecher müsse man kreuzigen, Diebe verstümmeln und Ketzer verbrennen. Vor nur wenigen Jahrhunderten sah das völlig anders aus.

In Star Trek wird uns eine Gesellschaft gezeigt, die vor allem dem Individuum eine besondere Stellung einräumt. Das zeigt sich in der multikulturellen Zusammensetzung aller Raumschiffbesatzungen und dem Forscherdrang, der die Föderation prägt. Deswegen paßt das oft zitierte Wort Toleranz auch nicht so recht zu Star Trek. Es prägt nämlich eher die Wertvorstellung unserer Gesellschaft. Wer von etwas begeistert ist, wird kaum auf die Idee kommen, das Wort Toleranz zu verwenden. So auch in Star Trek. Die Andersartigkeit ist etwas bewußt Gewolltes. Die Sternenflotte sucht nach dieser Andersartigkeit in unbekannten Gebieten des Weltalls. Das geht weit über das Tolerieren hinaus. Es ist eben ein Unterschied, ob ich andere Sitten und Gebräuche toleriere, also "akzeptiere" und "erdulde", oder ob ich diese Andersartigkeit gerade als begrüßenswerte Bereicherung empfinde.

Viele Grundsätze in Star Trek betonen den Wert der Andersartigkeit und dadurch den Wert der Individualität. Man denke nur an Kirk, der sich bei McCoy und Spock bewußt mit zwei sehr gegensätzlichen Individuen umgab, von deren Unterschiedlichkeit er dann profitierte. Auch die Crew der nächsten Generation zeichnete sich durch starke Kontraste aus. Jeder hatte seine persönlichen Stärken und Schwächen, die er zwar auf das für ein friedliches Zusammenleben und für die auf einem Schiff vorherrschende Kommandostruktur notwendige Maß anpassen, die er aber nicht vollends unterdrücken mußte.

Das vulkanische IDIC-Prinzip betont ebenfalls den Wert der Unterschiedlichkeit. IDIC wurde erstmals in der Classic-Episode "Is There in Truth no Beauty?" (dt.: Die fremde Materie) vorgestellt. IDIC heißt "Infinite Diversity in Infinite Combinations", oft übersetzt mit "Unendliche Mannigfaltigkeit in unendlichen Kombinationen" (UMUK). Es soll aussagen, daß gerade die Unterschiedlichkeit, nicht die gegenseitige Anpassung, in ihrer Kombination etwas Erstrebenswertes ist. Das IDIC-Symbol tauchte in einigen Classic-Filmen auf und wurde zuletzt in der DS9-Episode "The Jem'Hadar" (dt.: Der Plan des Dominion) erwähnt. Wer sich übrigens wundert: In der deutschen Version der Classic-Episode wurden leider alle Szenen mit dem IDIC-Symbol (und Spocks Erklärung) herausgeschnitten. Als am Ende Spock plötzlich mit dem Amulett zu sehen ist und Dr. Mirinda Jones (sie heißt in der deutschen Version Marion Jones) noch einmal darauf zu sprechen kommt, ist der Dialog in der deutschen Version abgeändert, IDIC kommt darin nicht mehr vor.

Ein anderes, sehr deutliches Beispiel für den Wert des Individuums liefert der Kinofilm "Star Trek III - Auf der Suche nach Mr. Spock". Dort äußert Kirk im Finale als Fazit des Films einen Schlüsselsatz, der als ein Leitmotiv für ganz Star Trek stehen könnte. Auf die Frage von Spock, warum er ihn gerettet hat, antwortet er: "Because the needs of one outweighed the needs of the many." (Dt. Weil das Wohl des Einzelnen schwerer wiegt als das Wohl vieler.) Mit anderen Worten: Eine Gesellschaft, die sich nicht für das Wohl und das Bedürfnis des Individuums einsetzt, begeht einen großen Fehler.

Sieht man Star Trek und seine vielbeschworene Message unter diesen Aspekten, erscheinen auch die Borg in einem ganz anderen Licht. Durch ihre Verschmelzung von Technik und "Mensch" und durch die absolute Auslöschung des Individuellen, indem sich der Assimilierte ganz und gar der Gemeinschaft, dem Kollektiv unterordnen muß, verstoßen die Borg gegen zwei ganz elementare Grundpfeiler und Grundprinzipien der Föderation. Das macht die Borg mehr als jede andere Alienrasse in Star Trek zur "Anti-Föderation" und daher noch immer zu den interessantesten und vielschichtigsten Gegnern.

Die Borg verkörpern das exakte Gegenteil der Föderationsideale. Um so raffinierter erscheint hier Kenneth Billers Drehbuch: Er zeigt uns die Vorteile eines Borgkollektivs und führt uns damit geschickt in die Irre. Denn wir glauben den Ausführungen von Dr. Riley Frazier. Wir finden ihre Argumente durchaus logisch. Ihre Motive sind auch sicher selbstlos. Chakotay erfährt das Kollektiv am eigenen Leibe und findet Gefallen daran. Dr. Riley Frazier läßt Chakotay sozusagen von der verbotenen Frucht kosten, er wird geschickt manipuliert und setzt sich am Ende sogar dafür ein, auf dem Planeten ein neues Kollektiv aufzubauen. Dr. Riley Frazier gelingt es, Chakotay von den Vorteilen eines Kollektives zu überzeugen, sie führt ihn geschickt in eine lange Zeit auch für den Zuschauer nicht durchschaubare Versuchung, die ihn das Borgkollektiv als etwas Erstrebenswertes erscheinen läßt (wobei Billers Drehbuch das auch geschickt dadurch symbolisiert, indem Chakotay zugleich von Frazier sexuell verführt wird).

Da die Borg böse Ziele verfolgen, wird auch jedem klar sein, daß ihre Ideale verachtenswert sind. Sie zerstören, assimilieren und töten. Gerade das macht "Unity" so reizvoll. Hier wird ein Kollektiv gezeigt, das durchaus mitfühlend ist. Ein Kollektiv, das Chakotays Leben rettet, das dafür sorgt, daß der Voyager durch das Borgschiff keine Gefahr droht. Doch am Ende der Episode wird klar: Es kann dennoch nicht gut gehen. Welche Vorteile die Unterdrückung des Individuums auch manchmal haben mag (hier beendet es immerhin blutrünstige Auseinandersetzungen), es ist immer ein schweres und nicht tolerierbares Unrecht.

Für das Kollektiv zählt das Individuum nicht. Daher zögert Frazier auch nicht, um die Macht, die das kleine Kollektiv über Chakotay hat, zu ihrem Vorteil zu nutzen. Eine solche Gesellschaftsform kann positive Ideale nicht lange aufrecht erhalten, sie ist zwangsläufig früher oder später zum Scheitern verurteilt. Daher macht das Ende der Episode auch Sinn: Janeway und Chakotay erkennen, daß die Verbrechen der Borg irgendwann auch wieder in der Kooperative aufleben werden. Letztlich muß man sich Chakotays Schlußbemerkung anschließen: "I wonder how long their ideals will last in the face of that kind of power." (dt.: Wie lange können sie wohl ihre Ideale angesichts dieser Macht bewahren?) Gemeint ist die Macht, das Individuum zu unterdrücken, eine Macht, die die Kooperative, wie Chakotay erfahren hat, jederzeit bereit ist, einzusetzen.

Ein anderer Aspekt dieser Episode bezieht sich natürlich auf die Probleme, die eine neu gewonnene Freiheit verursachen kann. Freiheit ist etwas Wunderbares, aber sie schafft auch viele Schwierigkeiten. Das kann man stets beobachten, wenn eine unterdrückte Personengruppe plötzlich von ihrer Unterdrückung erlöst wird. Es entstehen neue Komplikationen, oft so massiv und verzwickt, daß die ehemals Unterdrückten die neu erworbene Unabhängigkeit eher als Nachteil empfinden. Manchmal geht es sogar so weit, daß sich manche die Unterdrückung als geringeres Übel zurückwünschen. Ich denke, jeder kennt für dieses Phänomen unzählige Beispiele.

"Unity" ist eine durch und durch gelungene Episode, von Paris-Darsteller Robert Duncan McNeill gekonnt inszeniert und mit viel Einfühlungsvermögen und mit der genau richtigen Dosis Action geschrieben. Da auch die Zuschauerreaktionen sehr positiv waren, was sich auch in den US-Quoten widerspiegelte, faßten die Macher von "Star Trek - Voyager" schnell den Entschluß, die Borg im Finale der dritten Staffel zurückkehren zu lassen.

Einziger Wermutstropfen ist ein leider recht offensichtlicher Fehler: Rileys Bemerkung, sie sei vor fünf Jahren bei Wolf 359 assimiliert worden, ist schwer zu glauben. Zumindest kann wohl kaum die Schlacht aus "Best of Both Worlds Part 2" (dt.: Angriffsziel Erde) gemeint gewesen sein, denn dieses Borgschiff wurde am Ende der Episode zerstört. Es erscheint aber ein wenig unglaubhaft, daß im gleichen Jahr dort ein anderes Borgschiff Personen assimiliert haben soll, ohne daß dieser Vorfall jemals Erwähnung fand.

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30. November 1998

©1998 Thomas Höhl.