Star Trek - The Next Generation: 77
"Brothers" (Die ungleichen Brüder)

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Staffel4
76: "Family"
78: "Sudden..."
US-Erstsendung:
6.10.1990

ZDF-Erstsendung:
17.8.1993

Regie:
Rob Bowman

Drehbuch:
Rick Berman

Gaststars:
Cory Danzinger
als Jake Patts

Colm Meaney
als Lt. O'Brien

Adam Ryen
als Willie Patts

James Lashly
als Ensign Kopf

Brent Spiner
als Lore und Noonian Soong

Inhalt:

SzenenbildWährend eines kurzen Landurlaubes spielt ein Junge seinem Bruder einen Streich, der beinahe tödlich endet: Der Bruder wird mit einem Parasiten infiziert und benötigt so schnell wie möglich medizinische Hilfe von einer nahe gelegenen Raumbasis. Während die Enterprise auf dieses Ziel zufliegt, übernimmt Data ohne Vorwarnung und unter Zuhilfenahme all seiner enormen Fähigkeiten die Brücke. Er isoliert sich dort und lenkt das Schiff zu einem Planeten, wo er seinen Erfinder trifft, Noonian Soong. Es stellt sich heraus, dass Soong eine "Rückruffunktion" in Data aktiviert hat, um ihm ein Geschenk zu machen: Einen Emotionschip. Währenddessen ist die Enterprise im Orbit des Planeten hilflos, da Data den Computer gesperrt hat.

Plötzlich erscheint Lore auf dem Planeten; er wurde vom gleichen Signal angelockt wie Data, nur wusste Soong nicht, dass Lore wieder aktiviert worden war. Er behandelt seine beiden "Kinder" gleich und nachsichtig, was Lore die Gelegenheit gibt, ihn hineinzulegen und dazu zu bringen, den Emotionschip in ihm anstelle von Data einzubauen. Bis Soong seinen Fehler feststellt, ist es zu spät: Lore schlägt seinen alten Erfinder nieder und verlässt den Planeten. Inzwischen kommt Hilfe von der Enterprise, doch Soong stirbt. Vorher verabschiedet er sich von Data. Der kranke Junge kann gerade noch rechtzeitig auf die Raumbasis gebracht werden.

Kommentar:

"Brothers" gehört zu den misslungensten Episoden der Season, was schade ist angesichts der Aufwandes, der betrieben wurde. Es gibt allerdings eine hervorragende Sequenz, auf die ich weiter unten etwas ausführlicher eingehen werde (man soll sich bekanntlich das Beste bis zum Schluss aufbewahren). Zum größten Teil ist dies eine reichlich einfallslose Episode, abgesehen von der Grundidee von Datas "Familientreffen". Diese wurde jedoch farblos umgesetzt und unterhält nur spärlich. Das Hauptversagen besteht darin, dass uns die Episode nichts zu sagen hat.

Die äußere Handlung um Lore – der mehr oder weniger einfach auftaucht, quengelt, seinen Vater reinlegt und ihn dann umbringt – ist seicht, aber viele Episode der "Next Generation" finden das Erzählenswerte in einfachen Szenarien. "Family" (dt.: Familienbegegnungen) bleibt das Paradebeispiel. Die Begegnung von Data mit seinem Erfinder hat genau so viel Potential wie die Begegnung von Picard mit seinem Bruder. Wie "Family" zeigt "Brothers" jene große Zuversicht zum Charakterstück, dem Spiel mit nichts als den Figuren, die für diese Season so typisch ist. Aber diese Erzählform verlangt ein hohes Niveau der Charakterzeichnung und einen soliden Inhalt, um wirklich zu überzeugen – etwas, was "Family" hatte. In "Brothers" hingegen bleibt das Treffen von Data und Soong bedauerlich witzlos, und wir erfahren dabei lediglich, wie schnell eine Charaktergeschichte zum Kaffeekränzchen wird, wenn der Autor selbst nicht genau weiß, was der Inhalt seiner Geschichte eigentlich sein sollte.

Man erkennt hier auch einmal mehr, wie tragfähig Michael Pillers zwei Grundsätze der guten Erzählung sind: Von wem handelt die Geschichte, und worüber handelt sie? Die Episode bleibt uns, wie gesagt, eine Antwort auf die zweite Frage schuldig, und sie scheitert daran. Dies ist nicht zuletzt deshalb schade, weil die Episode mit dem Emotionschip den ersten Stein für eine ganze Reihe von Fortsetzungen legt, nicht zuletzt die Nebenhandlungen von zwei Kinofilmen. Das macht "Brothers" möglicherweise zur wichtigsten schlechten Episode im Verlauf der ganzen Serie. Solche Episoden werden manchmal "überleitend" genannt – ein Euphemismus, geprägt von den Rezensenten der weniger gelungenen Fernsehserien mit langen, übergreifenden Handlungsbögen: Sie bedurften eines Namens für die langweiligen, witz- und lustlosen Episoden, die lediglich die Geschichte von einem Punkt zu nächsten schleppen. Der Begriff scheint mir aber vor allem eine Ausrede für eine kunstlos erledigte Aufgabe zu sein, und für die "Next Generation" will ich sie nicht gelten lassen. Autor der Episode ist Rick Berman, zu jener Zeit bereits de facto Alleinherrscher der Serie. Aber es wäre vermutlich übertrieben zynisch zu denken, dass dieses Drehbuch nur deshalb an Michael Piller vorbei kam, weil es schwer ist, das Drehbuch des Chefs abzulehnen – es ist ja nicht so, als ob es die einzige schlechte Episode der Serie wäre.

Möglicherweise verletzt die Episode auch Pillers erste Frage: Von wem handelt die Geschichte? "Von Data", wäre man versucht zu sagen, aber eigentlich hat er sehr wenig zu tun, und sehr wenig betrifft ihn direkt. Data tritt sehr bald einmal in den Hintergrund und überlässt das Feld Lore und Soong, so dass dies während der letzten Viertelstunde beinahe zu einer Episode über Außenseiter wird, die uns nichts bedeuten. Data hat dabei kaum die Möglichkeit zu handeln oder zu reagieren. Es ist vielleicht bezeichnend für diese fehlgeleitete Aufmerksamkeit der Episode, dass die Haupthandlung in einer Geschichte über zwei Geschwister eingeklammert ist, die wir nicht kennen, die uns nicht kümmern, und die letztlich nicht weiter eine Rolle spielen. Falls es eine tiefere Bedeutung darin gibt, dass es sich ebenfalls um zwei Brüder handelt, so entzieht sie sich mir.

Ich weiß nicht, ob die Autoren je mit dem Gedanken spielten, Data bereits hier den Emotionschip zu geben. Zum Glück geschah das nicht, denn es hätte einige der besten Episoden unmöglich gemacht. Besonders einer meiner Favoriten, "In Theory" (dt.: Datas erste Liebe), wäre eine ganz andere Episode geworden. (Vielleicht wäre es dann allerdings eine Episode geworden, die dem deutschen Titel entsprochen hätte: Dieser ist vermutlich der irreführendste und unzutreffendste sämtlicher deutschen Episodentitel, und das will etwas heißen. Zugegebenermaßen ist der Fehler subtiler als in anderen Fällen.) Ich denke, die Kinofilme haben inzwischen bewiesen, wie sehr die Figur Data von ihren Grenzen definiert wird. Es ist kein Zufall, dass Pinocchio endet, nachdem die gute Fee aus der Holzpuppe einen Menschen gemacht hat – diese Geschichte muss an dieser Stelle enden. Vielleicht lag diese Einsicht hinter Michael Pillers Entschluss, Data den Emotionschip im neunten Kinofilm nicht verwenden zu lassen. Mit dem Chip verliert Data seine erzählerische Funktion als Außenseiter, Beobachter und Spiegel der Menschen.

Doch zurück zu "Brothers" und der erwähnten gelungenen Sequenz, die uns beinahe – nur beinahe – für das ganze langweilige Ding entschädigt. Es sind nahezu zehn Jahre vergangen, seit ich "Brothers" das erste Mal sah. Ich erinnere mich aber deutlich an die Aufregung der ersten zehn Minuten, als Data die Enterprise entführt. Mehr als je zuvor wirkt er dabei wie eine Maschine – es flösst einem nahezu Angst ein, diesen effizienten, überlegenen Automaten in menschlicher Hülle zu sehen, den Rest der Crew machtlos daneben. Die Eröffnungsszenen spielen mit unserer Furcht vor dem "Frankenstein" Szenario: Ein Wesen, geschaffen nach unserem Abbild, richtet sich gegen uns. Auf dieser thematischen Assoziation fußt vermutlich der effektive Horror der ersten zehn Minuten.

Bemerkenswertes:

Dies ist eine der wenigen Episoden der Serie, die von Rick Berman geschrieben wurde. Im Verlauf der Serie schrieb er noch "A Matter of Time" (dt.: Der zeitreisende Historiker), außerdem hat er einen Co-Credit für "Ensign Ro" (dt.: Fähnrich Ro) und für beide Teile von "Unification" (dt.: Wiedervereinigung?).

Berman war Gene Roddenberrys Nachfolger als Executive Producer. Er wurde später Miterfinder von "Deep Space Nine" (mit Michael Piller), "Voyager" (mit Michael Piller und Jeri Taylor) und "Enterprise" (mit Brannon Braga). (Sämtliche Namen kamen zur "Next Generation", als die Serie aufblühte: während der dritten und vierten Season.) Es sei an dieser Stelle die Bemerkung erlaubt, dass Berman sehr viele Drehbücher zu "Enterprise" beiträgt, und die meisten, ähnlich wie "Brothers", sind misslungen (zum Teil spektakulär misslungen, und in der Regel sind sie schlechter als "Brothers") – ein Kritiker, der Böses dabei denkt!

Wir sehen zum ersten (aber nicht zum letzten!) Mal den Kybernetiker Noonian Soong, den Data seit "Datalore" als seinen Erfinder kennt. Zuvor wusste er nicht, wer ihn erschaffen hatte, bloß, wo er gefunden wurde. (Da nicht bekannt war, dass sich Soong auf der gleichen Kolonie aufgehalten hatte, konnte niemand die Verbindung herstellen.) Data bezeichnet Soong am Ende der Episode als Vater.

Brent Spiner spielt Data, Lore und Noonian Soong. Spiner drehte im Grunde während zweieinhalb Tagen ein ein-Mann-Stück für die Serie – eine Gelegenheit, die keiner der anderen Darsteller je hatte.

Die Episode führt den Emotionschip für Data ein. Lore stiehlt ihn hier, aber Data bekommt ihn am Ende der sechsten Season zurück. Er wird in den Kinofilmen "Star Trek Generations" und "Star Trek: First Contact" wieder eine Rolle spielen. In "Star Trek: Insurrection" wird er hingegen mehr oder weniger ignoriert, um wieder zum "ursprünglichen" Data zurückzukehren. Alles in allem sind die Geschichten um den Chip von gemischter Qualität.

Lore erklärt, er sei nach "Datalore" eine Zeit lang im Weltraum herum getrieben (das muss seinem ohnehin schon psychopathischen Gehirn gut getan haben), bis er dann von einem Schiff der Pakleds gefunden wurde (ein glücklicher Zufall, angesichts der Größe des Alls). Lore trägt in dieser Episode auch ein Kleid der Pakleds.

Soong stirbt; Lore taucht in "Descent" am Ende der sechsten Season wieder auf. Er wurde in "Datalore" eingeführt.

Nitpicking:

Nach "Datalore" und "Brothers" können wir die Ereignisse rekonstruieren, die sich kurz vor und nach Datas Konstruktion (oder Schöpfung) abspielten. Lore wurde als erster gebaut, war jedoch von Anfang an unausgeglichen und verunsicherte die Kolonisten, unter denen Noonian Soong lebte. Deshalb wurde er deaktiviert und durch Data ersetzt, der nicht mit Lore Konstruktionsfehler behaftet war, den rudimentären Emotionen. Nun muss Lore irgendwann, als er noch aktiv war, mit dem Kristallwesen Kontakt gefunden haben; bis dieses aber bei der Kolonie ankam, war Lore bereits deaktiviert und Data konstruiert worden. Noonian Soong konnte fliehen, nicht aber die Kolonisten. (Dies deckt sich gut mit seinem ersten mysteriösen Verschwinden, nachdem er sein Versprechen eines positronischen Gehirns nicht einhalten konnte und sich unter falschem Namen davon machte, um es noch mal zu versuchen – so erzählt in "Datalore".) Vor ihrem Tod konnten die Kolonisten einen Teil ihres Wissens und ihrer Biographien in Data speichern, der dann, inaktiv, auf dem Planeten herum lag, bis er von der Starfleet gefunden wurde. Das geht alles reichlich gut auf, allerdings muss man großzügig mit der Zeiteinteilung umgehen: Die Kristalleinheit unternahm offenbar eine lange Reise, um zu Lores Kolonie zu gelangen.

Hat Lore nun sein eigenes Schiff, oder ist er noch immer mit den Pakleds unterwegs? So oder so: Ist es nicht ein sehr glücklicher Zufall, dass er ungefähr gleich rasch zu Soongs Planeten kommen konnte wie Data? (Angesichts, ich sage es nochmals, der Größe des Alls!!)

Warum herrscht in Soongs Wohnung und Labor diese ausgeprägte Dinomanie? Er hat mehrere kleine Modelle und mindestens einen großen Schädel (den ich in relativer Ahnungslosigkeit für einen Tyrannosaurus rex halte). Vielleicht wollte die Episode natürlich Data eine Möglichkeit geben, etwas mit auf die Enterprise mit zu nehmen, als Geschenk für die anderen zwei entfremdeten Brüder. Aber warum sollten sie Freude an Dinosauriern haben? Wir denken zwar, dass kleine Kinder immer Freude an den ausgestorbenen Tieren haben, aber in Tat und Wahrheit ist das eine reichlich neue Erscheinung (vielleicht mit Jurassic Park verbunden). Es erscheint mir einfach etwas stereotyp, dem "genialen Wissenschafter" ein paar Dinosaurier als eine Art Etikett in die Hand zu drücken! (Und was soll der Sarkophag im Hintergrund? In was für einem B-Movie-Labor sind wir bloß gelandet??)

Die Episode braucht zwei Kinder, die auf der Enterprise geblieben sind, obwohl ihre Eltern zur Zeit sonstwo beschäftigt sind. Eine fragwürdige Entscheidung der Eltern – gäbe es keine sichereren und geeigneteren Aufenthaltsorte für die Kinder? (Und hätte man nicht besonders nach dem Borg Zwischenfall Angst, Kinder alleine auf den Raumschiffen zu lassen? Andererseits war die Enterprise während dieses Zwischenfalls natürlich sicherer als 39 andere Schiffe...) Es sieht jedenfalls nach einem sehr gekünstelten Kniff aus, um sich für diese Episode zwei unüberwachte junge Kinder zu besorgen.

Hätte Soong keinen weniger brachialen Mechanismus erfinden können, um Data im Notfall zu sich zurück zu rufen? Eine etwas flexiblere Rückrufroutine vielleicht?

Zitate:

"Often-wrong's got a broken heart, can't even tell his boys apart."
(Lore)

Einschaltquoten (von Martin Seebacher):

In Amerika erzielte die Folge ein 10.9 Rating und einen dritten Platz.

In Deutschland verzeichnete das ZDF 1,49 Mio. Zuschauer, bei der Sat.1 Erstsendung (21.02.94) waren 1,55 Mio. Zuschauer bei einem Marktanteil von 13,1% dabei.

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Letztes Update:
10. Dezember 2002

©2002 Rafael Scholl.